Dialektische Malerei

 

Samuel Wiesemanns Bilder basieren auf privaten Fotografien von Verwandten und Bekannten.

Durch die Übersetzung ins Malerische erfahren die Bilder eine subjektive Umdeutung. Was bleibt ist der Eindruck eines erzählenden Realismus, der aus Momenten persönlicher Erfahrung Bilder generiert, die über allein Persönliches hinausgehen.

Anzuführen ist hierzu als erstes, dass alle Bilder, so persönlich und privat sie auch sein mögen, quasi konstitutiv „nach Fahrplan“ entstehen, es sich bei ihnen also um konzeptuelle Arbeiten handelt.

Diese Darstellung unmittelbar privaten Erlebens in konzeptuell distanzierter Form wird weiterhin dadurch verstärkt, dass Wiesemann nicht einfach nur malt, sondern sich in seinem malerischen Ausdruck stark an Vorbilder ikonischer Kunst orientiert.

Sein Modus der Darstellung ist also weder visuelle Darstellung noch Spezialisierung des visuellen Akzentes bzw. der Sicht aus einer besonderen Position. Viel eher zielt er auf eine taktil-abrupte Wahrnehmung seiner Werke ab, die total und synästhetisch funktioniert.

Passend zu diesem Ansatz malt er auch nicht in Acryl oder Öl, sondern flächig in nach traditionellem Rezept angemischter Eitempera auf Leinwand; mit Faible zur Überzeichnung in der Figuration. Klar abgetrennte Farbflächen stehen von harter Linie getrennt gegeneinander, ornamentales Beiwerk kommt hinzu.

So werden die von ihm gemalten Personen letztlich jedweder Persönlichkeit enthoben und stehen stellvertretend allgemein für Menschentypen in unterschiedlichen Lebensabschnitten: von der Wiege bis zur Bahre.

Samuel Wiesemann setzt sich in seinem Werk explizit mit Themen der Identität und der Zeit auseinander. Dadurch, dass er dabei alle Arten von Brüchen annimmt, macht er sein Werk zu einer subtilen Subversion jenes Lebens, das sich heute selbst als lustig und entspannt darstellt.

Edmund Pieper Mai 2003